Interview mit Frank Heinrich MdB

Frank Heinrich

 

SenGermany: Nach Ihrem Lebenslauf kommen Sie aus Freiburg. Wie kommt man von Freiburg nach Chemnitz?

Heinrich: Durch meine berufliche Laufbahn. Ich habe in Freiburg Sozialpädagogik studiert. Dann habe ich mich mit meiner Frau entschieden, vollzeitig bei der Heilsarmee als Pastor zu arbeiten. Wir haben eine Ausbildung in Basel gemacht und sind mit unserer ersten Stelle nach Chemnitz geschickt worden. Das war der Grund, warum wir in Sachsen gelandet sind. 

SenGermany: Freiburg ist die Solarstadt schlechthin in Deutschland und Sie kümmern sich um Wasser. Wie kommen Sie von Solarenergie auf Wasser?

Heinrich: Das hat zwei Gründe: Freiburg ist auch die grünste Stadt Deutschlands. Und das hat ja etwas mit Wasser zu tun. Bei der Heilsarmee gibt es drei Hauptthemen weltweit. Und das sind HIV/AIDS, Human Trafficking und Wasser. Natürlich als dieses Thema im Ausschuss  für Menschenrechte  und Humanitäre Hilfe aufgerufen wurde, war das für mich eine win-win Situation. 

SenGermany: Wie kam das Interesse für Afrika und wann?

Heinrich: Als ich mich 2009 auf den Bundestag vorbereitete, habe ich innerlich gedacht: Das ist es doch. Afrika! Und ich kann mich erinnern, wie in meinem Kopf einen Satz entstanden ist, das heißt: „Big Brother Africa“. Und als wir uns dann als Team mit Mitarbeitern konstituiert haben, habe ich gleich in der ersten Woche gesagt, eine meiner fünf Hauptprioritäten wird Afrika sein. Die erste ist Chemnitz, die zweite und dritte sind meine beiden Ausschüsse, dann Afrika und Kinder. 

SenGermany: Dann haben Sie Kanada zurückgelassen, obwohl Sie dort studiert haben?

Heinrich: Ja. Ich war dort in der Parlamentariergruppe mehr aber nicht. 

SenGermany: Lassen Sie uns das Thema Afrika vertiefen. Waren Sie schon im Senegal?

Heinrich: Nein da war ich leider noch nicht. Das fehlt mir tatsächlich.

SenGermany: Dann werden wir jetzt den Senegal vertiefen. Ich werde Ihnen jetzt den Senegal kurz vorstellen. Wir wählen im Senegal seit 1848. 

Heinrich: Das ist mir bewusst.

SenGermany: Wir haben in unserem Parlament 43% Frauen. Hier im Bundestag haben Sie bis jetzt nur 36%. 

Heinrich: Genau.

SenGermany: Und wir haben in den letzten 40 Jahren vier Staatspräsidenten gewählt, genau wie Deutschland vier Bundeskanzler gewählt hat. Und unser aktueller Staatspräsident Macky Sall hat dreimal Deutschland besucht, seit er 2012 gewählt wurde und war in Sachsen (Dresden) 2015. Das heißt für uns, dass die Zeit gekommen ist, dass Sie als Bundestagsabgeordneter  den Senegal besuchen.

Offizieller Besuch vom Senegals Staatspräsidenten Macky Sall bei Bundeskanzlerin Angela Merkel im März 2014, Berlin

Heinrich: Wobei ich die Reisefreudigkeit Ihres Staatspräsidenten kaum schlagen kann. Bis jetzt habe ich in meinen Jahren im Bundestag jedes Jahr ein- oder zweimal Afrika besucht. Das ist für manchen in meinem Wahlkreis schon zu viel. 

SenGermany: Aus welchem Grund?

Heinrich: Weil ich ja vor allem in Deutschland tätig bin. In Berlin und in meinem Wahlkreis in Chemnitz.

SenGermany: Nehmen wir an, die Bundeskanzlerin besucht Afrika und den Senegal, wären Sie dann dabei?

Heinrich: Wenn sie mich mitnimmt, würde ich mich darum bewerben. Wenn der Bundespräsident reist, oder auch Entwicklungsminister Gerd Müller, dann kann es gut sein, dass ich gebeten werde, sie zu begleiten, weil ich für Afrika eine Stimme sein darf. So war ich auch schon mit Außenminister Steinmeier in Südafrika.

Sengermany: Jetzt zu Ihrer Veranstaltung Business trifft Afrika. Das gibt es schon im Bundestag bei Ihrem Kollegen Andreas Lämmel. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein solches Thema  in Ihrem Wahlkreis in Chemnitz einzuführen, denn dort ist Afrika nicht bekannt.

Heinrich: Genau aus diesem Grund. Die Hauptmotivation ist, dass Afrika in Chemnitz bekannt werden soll. Wenn man in Sachsen Afrika wahrnimmt, dann vor allem unter diesen alten Vokabeln: Krise, Katastrophe, Hunger alles negative Dinge. Ich möchte lieber nach dem Motto „Big Brother Afrika“ handeln. Dabei möchte ich nicht nur in Berlin über mein Thema reden, sondern die Chance für Chemnitz nutzen. Ich sehe, dass Afrika viel Potential als Kontinent hat, nun will ich diese Chance für Chemnitz glaubhaft machen. Und deshalb habe ich zum Thema Wasser Runde Tische in Berlin initiiert und in Chemnitz „Business trifft Afrika“. Und das ist die letzten zwei Jahre sehr erfolgreich gewesen.

6. Africa meets business“ am 15. März 2016 im Bundestag

SenGermany: 2016 organisieren Sie das 3. Business trifft Afrika. Steht das Datum schon fest?

Heinrich:  Ja es findet am 16. Juni 2016 statt.

SenGermany: Wen haben Sie dort eingeladen.

Heinrich: Wir haben alle Botschafter aus Afrika eingeladen oder ihre Business Attachés. Viele haben zugesagt. Wir werden sowohl die Botschaften aus Afrika zu Gast haben als auch Business-Vertreter aus Chemnitz und unserer Region. Wir wollen ja, dass die beiden sich treffen.

SenGermany: Haben Sie auch einen Tisch für die Ingenieure aus dem Senegal vorgesehen. 

Heinrich: Natürlich. Für alle Botschaften, die sich anmelden, werden wir es organisieren. 

SenGermany: Ich habe auch in den Unterlagen gesehen, dass sie sich um Europa kümmern. Sie sprechen von Afrika als Nachbarkontinent. Was würden Sie tun vom Bundestag aus oder von Chemnitz aus für Afrika in Europa?

Heinrich: Zunächst wünsche ich mir, dass wir uns in den verschiedensten Themen auf Augenhöhe begegnen. Wir haben sehr lange nicht mit dem „großen Bruder“ sondern mit der „kleinen Schwester Afrika“ geredet. „Man muss helfen“, war das Motto. Gut gemeint, oft schlecht gemacht. Umgekehrt hat Afrika uns auch so angesprochen. Manchmal bis heute, in dem Ton von „Investiert bei uns“ - und es gab kein Projekt, in das wir investieren können. Eine Investition braucht ein Konzept, Bodenschätze alleine reichen nicht. Wir sollten uns auf Augenhöhe wahrnehmen. Ich möchte, dass das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) genau wissen, was sie an Afrika haben und schätzen. Erstens möchte ich das gerne in die Öffentlichkeit tragen. Zweitens würde ich gerne, dass unsere Ministerien quer miteinander arbeiten. Das Wirtschaftsministerium, das BMZ, das Auswärtige Amt und die anderen Ministerien sollen ein gemeinsames Konzept für die Afrika-Politik entwickeln und nicht jedes Ministerium ein einzelnes Konzept. Ich schreibe jetzt einen Antrag beim Bundestag, um dies zu bündeln.

SenGermany: Auf Ihrer Veranstaltung 2015 haben Sie gesagt, dass die Bevölkerung Afrikas sich bis 2050 verdoppeln wird. Eine Sache wundert mich immer, wenn man in Europa von der Bevölkerung Afrikas spricht. Jeder sagt: die Bevölkerung wird sich verdoppeln und wir müssen etwas tun und keine analysiert das richtig, habe ich den Eindruck. Auch wenn sich die Bevölkerung von Afrika sich in den nächsten 20 Jahren verdoppelt, haben wir zurzeit eine Bevölkerungsdichte von 30 Einwohnern pro Km2 in Afrika. In Deutschland hat man schon 230 Einwohner pro Km2 und in den Niederlanden sogar über 400 Einwohner pro Km2 und keiner sagt, dass es in Holland keinen Platz mehr gibt. Wenn sich die Bevölkerung Afrikas in 20 Jahren verdoppelt, dann hätten wir eine Bevölkerungsdichte von 60 Einwohnern pro Km2. Das Problem liegt aber bei der Entstehung von Megastädten.

Afrika: 21% der Erdoberfläche und 30 Einwohner pro km2

Heinrich: Ganz genau. Da kann ich Ihnen zustimmen, und gerade in den Megastädten ist die Frage nach Wasser und Abwasser entscheidend.

SenGermany: Lagos hat heute schon 13 Millionen Einwohner und Dakar 2,5 Millionen. In 20 Jahren werden sehr wahrscheinlich 30 Millionen in Lagos und 5 Millionen in Dakar leben. Damit wären die Umweltprobleme und auch Wasser nicht mehr in den Griff zu bekommen. Ich frage mich, warum die Bundesrepublik nicht sagt: Bevölkerungsdichte ist nicht das größte Problem Afrikas sondern die Dezentralisierung. Deutschland ist ein Land, das dezentralisiert ist. Wie kann man den Afrikanern helfen, ihre Wirtschaft und Bevölkerung zu dezentralisieren?

Heinrich: Das Anliegen, über die Bevölkerungsdichte zu sprechen, habe ich bislang von den betreffenden Botschaftern noch selten wahrgenommen. Ich sehe aber, dass die Bundesregierung in den letzten Jahren verstanden hat, dass sich bei dem Thema der Dezentralisierung um einer der Hauptfaktoren geht. Das BMZ investiert einen großen Teil seines Budgets in Dezentralisierung. 

SenGermany: Aber das BMZ hat Dezentralisierung vor zwei Jahren aus dem Entwicklungshilfeprogramm mit dem Senegal herausgenommen, obwohl kein Land so zentralistisch aufgebaut ist. Können Sie uns dabei unterstützen, die Dezentralisierung wieder in das Programm aufzunehmen.

Heinrich: Aber Sie wissen, dass nicht wir, damit meine ich das BMZ, sagen, welches im Paket stehen soll, sondern das Land anmelden muss, was im Paket stehen soll. Es wird natürlich miteinander gesprochen, aber ein Land darf Punkte wählen und Dezentralisierung ist im Fall des Senegal nicht mehr priorisiert worden und entsprechend herausgenommen worden. 

SenGermany: Der Senegal gehört nicht mehr zu den A-Ländern sondern B-Ländern. Also Dezentralisierung wurde herausgenommen und jetzt fördert die Bundesrepublik nur noch die erneuerbaren Energien. Wir als Kenner beider Länder sehen andere Prioritäten und bitten um Ihre Unterstützung.

Heinrich: Das werde ich tatsächlich prüfen und wenn auch dann möglich unterstützen. Aber bitte werben Sie auch im Senegal dafür.

SenGermany: Sie sind in der Afrika-Gruppe im Bundestag. Übrigens seit wann? 

Heinrich: Seit 2013. Das hat einen ganz logistischen Grund. Ich war in fünf Parlamentariergruppen, darunter zwei afrikanische Ländergruppen. Dann wollte ich mich fokussieren. Jetzt bin ich nur noch in den afrikanischen Parlamentariergruppen. 

SenGermany: Erzählen Sie uns über die Arbeit in dieser Gruppe.

Heinrich: In den Parlamentariergruppen liegt die Priorität darauf, sich mit den Kollegen auf der parlamentarischen Ebene in den entsprechenden Ländern auszutauschen. Es gibt oft Regierungskonsultationen, und dann treffen sich die Minister und die Staatschefs aber diejenigen, die das Land verkörpern müssen, kommen gar nicht in Kontakt. Es gibt viele Fragen: Wie funktioniert ein Wahlsystem? Wie funktioniert der parlamentarische Ablauf? Wie viel Macht haben die Parlamente? Wie funktioniert die Zivilgesellschaft? Und deshalb treffen wir uns mehrmals in einer Legislaturperiode in dem entsprechenden Land und ein- oder zweimal kommt eine Gruppe aus dieser Region zu uns. Wir treffen uns mit Journalisten, mit NGOs, Parlamentariern, hin und wieder auch mit Regierungsvertretern, um die Länder von ihrer Staatsform und von ihrer Kultur her kennenzulernen. Und sie kommen zu uns, um das gleiche zu tun. Um zu verstehen und Brücken zu bauen.

SenGermany: Haben Sie schon Abgeordnete aus dem Senegal empfangen?

Heinrich: Wir haben Abgeordnete aus dem Senegal hier empfangen. Es gab zwei Treffen, bei denen Vertreter aus dem Senegal hier waren. 

SenGermany: Jetzt zurück zu den Problemen, die es in Mali mit den Islamisten gibt. Was wir im Senegal befürchten, ist, dass es dort irgendwann mal einen Anschlag gibt, wie leider in Burkina Faso und Côte d’Ivoire. 

Heinrich: Weil der Senegal ebenfalls ein zentraler und wichtiger Ort ist, oder?

SenGermany: Was wir aber nicht wollen, ist dass man erst nach dem Anschlag hilft. Ich habe ja gesehen, dass Tunesien massiv geholfen wird, seitdem es dort so viele Anschläge gibt. Genau das wollen wir nicht. Wenn dann sollen wir jetzt schon dafür sorgen, dass dort nichts passiert. Ich sage es deshalb, weil jeder Westafrikaner sagt, im Senegal bin ich zu Hause. Und wenn es dort brennt, dann ist es vorbei. Wie kann man das, was wir gerade besprechen, im Bundestag bekannt machen.

Heinrich: Ihre Botschaft müssen Sie deutlich machen und zwar auf allen Ebenen, diplomatisch und in ihrem, dem Business-Bereich. Gerade die nichtstaatlichen Stimmen hören wir mal sehr laut, weil sie unbefangener sind. Wenn ein Politiker aus dem Senegal kommt und mir das sagt, dann muss ich mich immer fragen, was sein politischer Beweggrund ist. Dennoch sollten sich auch die Parlamentarier und die Regierende zu Wort melden. Auch auf deren Seiten kann es ja Befangenheit geben. Deshalb fordern Sie die Leute auf, uns und die Bundesregierung anzusprechen. 

SenGermany: Jetzt zu Ihrem Lieblingsthema Wasser: Meer, Grundwasser, Ernährung, Sauberkeit, Hygiene, was bevorzugen Sie?

Heinrich: Ich bin ja froh beim Thema Wasser gelandet zu sein, auch für meinen Wahlkreis, weil es ein greifbares Thema ist. Wir leben in einer Region Deutschlands, in der das Wasser erstens gut und zweites reichlich ist. Wenn wir die MDGs, die wir 2000 formuliert haben, angucken, sehen wir: alle haben mit Wasser zu tun: Gesundheit, Hygiene, Ausbildung. Mädchen gehen nicht in die Schule, weil sie in der Zeit Wasser holen müssen. Das heißt, fast jede Facette der Gesellschaft hat mit Wasser zu tun. Und deshalb interessiert mich das so. 

SenGermany: Sie haben die MDGs genannt. Jetzt haben wir die SDGs und SDG Nummer 14 ist das Leben unter Wasser. Das heißt Fischerei zum Beispiel. Ein großes Problem im Senegal, weil wir zu den größten Fischexporteuren der Welt gehören. Und am 4. November 2016, fühlen Sie sich heute schon eingeladen, haben wir eine Wirtschaftsdelegation aus dem Senegal mit dem Industrieminister eingeladen, mit Spezialisten der Fischereiindustrie. Wenn es so weitergeht, sagen alle Fachleute, wird es im Jahr 2050 keinen Fisch mehr in den Meeren geben. Haben Sie schon das Problem im Bundestag  angemahnt.

SDG Nummer 14: „Das Leben unter Wasser“ stellt für die senegalesische Fischerei eine große Herausforderung dar.

Heinrich: Das Thema hat indirekt mit Wasser zu tun, weil es im Wasser stattfindet. Das Thema Wasser als Menschenrecht berührt es aber nicht, es ist wirklich nicht mein Fachgebiet. Mir selber ist es bisher nur aus den Medien bekannt. Ich kann mich also nicht qualifiziert darin äußern. An einer Stelle teile ich Ihre Überzeugung nicht, nämlich darin, dass es in 50 Jahren kein Fisch mehr in den Meeren geben wird. Ich sage den Satz ein bisschen anderes: Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird es in 50 Jahren so sein. Aber ich glaube nicht, dass wir so weitermachen. 

SenGermany: In Deutschland ist es fast schon so. An der Ostsee gibt es so gut wie keine Fische mehr und viele Fischarten sind so gut wie verschwunden. Und das Risiko besteht, dass es in Westafrika irgendwann mal so wird. 

Heinrich: Man muss internationale Gesetze machen und Abkommen dazu schließen. Und da sind wir gerade erst am Anfang. Aber da brauchen wir die Wirtschaft und deren Knowhow. Wenn diese Business-Leute in 30 oder 50 Jahren immer noch Geld verdienen wollen, dann müssen sie etwas ändern. Am Schluss geht es um den Return on Investment. Spätestens in fünf oder zehn Jahren haben wir sie im Boot, da bin ich zuversichtlich. So sehe ich eine gute Chance. Aber das müssen Sie begreifen für ihr eigenes Einkommen in zehn oder 20 Jahren, nicht erst in 50 Jahren. 

Herr Heinrich herzlichen Dank für dieses Gespräch

Das Interview führte Ibrahim Guèye


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